20240919 doppelter schalter (v. li.) Die Bonner Forscher Dr. Robert Düster und Prof. Matthias Geyer stellen fest, dass das krebsrelevante Eiweiß Cdk7 an zwei Stellen angeschaltet werden kann. Stehen beide Schalter auf „an“ verstärkt sich seine Aktivität um ein Vielfaches.

 

Doppelter Schalter auf „AN“ verstärkt Enzym-Aktivität

Bonner Forscher äußern sich zur Wirkweise des Eiweißes Cdk7 und dessen möglichen Rolle in der Krebstherapie

Bonn, 19. September – Etwa jeder vierte Todesfall in Deutschland ist im letzten Jahr auf Krebskrankheiten zurückzuführen. Bei der Suche nach neuen Therapieansätzen ist eine Klasse von Enzymen, die Zyklin-abhängigen Kinasen, in den Blickpunkt gerückt. Erste Wirkstoffe gegen zwei Mitglieder dieser Enzymfamilie werden bereits seit 2017 als Medikament eingesetzt. Doch auch andere Vertreter der Gruppe sind aussichtsreiche Kandidaten für eine medikamentöse Therapie wie das Enzym namens Cdk7 – ein Hoffnungsträger im Kampf gegen Brustkrebs. Die Bonner Wissenschaftler Prof. Matthias Geyer, Direktor des Instituts für Strukturbiologie am Universitätsklinikum Bonn (UKB) sowie Mitglied im Exzellenzcluster ImmunoSensation2 und im Transdisziplinären Forschungsbereich „Life & Health“ der Universität Bonn, und sein Mitarbeiter Dr. Robert Düster sind Experten für Zyklin-abhängige Kinasen. Sie berichten jetzt über neue Forschungserkenntnisse, die am UKB, der Universität Bonn und der Mount Sinai School of Medicine in New York entstanden sind und kürzlich in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht wurden.

Was verbirgt sich hinter dem Enzym Zyklin-abhängige Kinase 7, im Englischen Cyclin-dependent kinases, somit kurz Cdk7?
Prof. Matthias Geyer: „Kinasen sind Enzyme, die die Funktion anderer Eiweiße durch das Anheften von Phosphorverbindungen beeinflussen können. Dabei sind sie auf einen regulatorischen Partner, das Zyklin, angewiesen, daher der Name. Die Zyklin-abhängigen Kinasen sind seit langem für ihre Funktion in der Zellteilung bekannt. Für ihre Entdeckung gab es bereits vor über 20 Jahren den Nobelpreis für Medizin[*]. Cdk7 nimmt in dieser Enzymfamilie nochmal eine herausgehobene Position ein, denn es ist an zwei zellulären Prozessen maßgeblich beteiligt: dem Abschreiben von Genen und der Zellteilung.“
[*Nobelpreis für Physiologie und Medizin 2001: Leland H. Hartwell, Tim Hunt, Paul M. Nurse „for their discoveries of key regulators of the cell cycle“.]

Es wird vermutet, dass das Enzym Cdk7 in Krebszellen eine Rolle spielen könnte. Warum und welche?
Dr. Robert Düster: „Dadurch, dass Cdk7 eine elementare Rolle beim Abschreiben der Gene und der Zellteilung spielt, ist es ein zentraler Schalter für die Genexpression. Fällt das Enzym aus oder wird es medikamentös ausgeschaltet, können sich Zellen nicht mehr teilen. Studien zeigen zudem, dass das Enzym in vielen Krebsarten hochreguliert ist, die Krebszellen also mehr davon haben als vergleichbare gesunde Zellen. Das wiederum begünstigt das Tumorwachstum.“

Welche möglichen Ansätze ergeben sich dadurch für Krebstherapien?
Prof. Matthias Geyer: „Eine unkontrollierte, krankhafte Teilung von Zellen ist vereinfacht die Definition von Krebs. Die direkte Hemmung der Zellteilung ist daher ein zentraler Angriffspunkt. Ein reiner Stopp der Zellteilung kann aber auch hinderlich für die Therapie sein, nämlich dann, wenn die kranken Zellen nur aufhören sich zu teilen, aber nicht absterben. In vorklinischen Studien hat sich jedoch gezeigt, dass die Hemmung der Cdk7-Aktivität einen verstärkenden Effekt auf andere Therapieformen hat. Dies könnte mit der zusätzlichen Funktion von Cdk7 beim Abschreiben von Genen zusammenhängen. Ein Wirkstoff, der Cdk7 hemmt, hat vor kurzem eine Zulassung der US-Amerikanischen Arzneimittelbehörde bekommen. Er wird bei Formen von Brustkrebs eingesetzt, die auf die vorherige Therapie nicht mehr ansprechen.“

In Ihrer aktuellen Studie haben Sie das Enzym Cdk7 im Reagenzglas genauer unter die Lupe genommen.
Dr. Robert Düster: „Kinasen werden in der Zelle durch eine chemische Veränderung aktiviert, sie haben sozusagen einen „An/Aus“-Schalter. Als wir biochemische Tests mit Cdk7 machten, stellten wir fest, dass es nicht nur einen, sondern zwei Schalter hat. Wenn beide auf „An“ stehen, steigert das die Aktivität um ein Vielfaches. Das Ergebnis hat uns ziemlich überrascht und war so nicht zu erwarten. Denn diese Art der Aktivitätsregulation findet man nicht bei anderen Mitgliedern der Zyklin-abhängigen Kinasen, sie ist eine spezielle Eigenschaft von Cdk7.“

Und wie funktioniert das?
Dr. Robert Düster: „Um den zugrundeliegenden Mechanismus besser zu verstehen, haben wir die molekulare Struktur von Cdk7 gemeinsam mit zwei weiteren regulatorischen Bestandteilen bestimmt. Durch das Umlegen der Schalter entsteht ein fein ausbalanciertes Netzwerk aus positiven und negativen elektrischen Ladungen. Da sich positiv und negativ geladene Atome gegenseitig anziehen, wird das Enzym in seiner aktiven Form stabilisiert. Weiterhin haben wir in Experimenten mit Zellen gesehen, dass die beiden Schalter nicht gleichzeitig oder zufällig, sondern immer in der gleichen Reihenfolge umgelegt werden.“

Was erhoffen Sie sich von Ihren Forschungsergebnissen für die Krebstherapie?
Prof. Matthias Geyer: Die Krebstherapie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark entwickelt. Die ‘eine’ Therapie gibt es schon lange nicht mehr. Das liegt daran, dass sich Tumore nicht nur in der Gewebeanalyse, sondern auch in ihren molekularen Details unterscheiden. In der Diagnostik werden daher viele verschiedene Merkmale der Krebszellen analysiert, um eine zielgerichtete Therapie zu ermöglichen. Das ist Teil der personalisierten Medizin. Wie bereits erwähnt, liegt Cdk7 bei vielen Krebsarten in höherer Konzentration vor als in gesunden Zellen. Das alleine erklärt jedoch nicht, warum manche Krebsarten empfindlicher auf die Hemmung der Cdk7-Aktivität reagieren als andere. Eventuell können unsere Ergebnisse dazu beitragen, diese Unterschiede besser zu verstehen und zielgerichtete Therapien zu entwickeln, um so die Heilungschancen zu erhöhen.“

Publikation: Robert Düster et al.: Structural basis of Cdk7 activation by dual T-loop phosphorylation; Nature Communications; DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-024-50891-z

Wissenschaftlicher Kontakt:
Prof. Dr. Matthias Geyer
Direktor des Instituts für Strukturbiologie, Universitätsklinikum Bonn
ImmunoSensation2 und TRA „Life & Health“, Universität Bonn
Tel. +49 228 287-51400
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Bildnachweis: Universitätsklinikum Bonn (UKB) / Rolf Müller

Pressekontakt:
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Das Centrum für Integrierte Onkologie – CIO Bonn ist das interdisziplinäre Krebszentrum des Universitätsklinikums Bonn. Unter seinem Dach arbeiten alle Kliniken und Institute am Universitätsklinikum zusammen, die sich mit der Diagnose, Behandlung und Erforschung aller onkologischen Erkrankungen befassen. Das CIO Bonn gehört zum bundesweiten Netzwerk ausgewählter Onkologischer Spitzenzentren der Deutschen Krebshilfe. 2018 wurde aus dem seit 2007 bestehenden CIO Köln Bonn mit den universitären Krebszentren aus Aachen, Köln und Düsseldorf das "Centrum für Integrierte Onkologie - CIO Aachen Bonn Köln Düsseldorf" gegründet. Gemeinsam gestaltet dieser Verbund die Krebsmedizin für rund 11 Millionen Menschen.

Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB werden pro Jahr über 480.000 Patient*innen betreut, es sind 8.800 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,5 Mrd. Euro. Neben den über 3.300 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr weitere 580 Frauen und Männer in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht im Wissenschafts-Ranking auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, weist den vierthöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf und hatte 2020 als einziges der 35 deutschen Universitätsklinika einen Leistungszuwachs und die einzige positive Jahresbilanz aller Universitätsklinika in NRW.

 

 

 

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